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Die "Venus" aus dem Eis

 

Nicholas J. Conard, Jürgen Wertheimer „Die Venus aus dem Eis – Wie vor 40.000 Jahren unsere Kultur entstand“ btb Taschenbuch 2010

 

Was als knackige Idee zu den Funden in den Höhlen der Schwäbischen Alb bei Blaubeuren gedacht war – ein Roman über die Entstehungsgeschichte der „Venus“ vom Hohle Fels - , entpuppt sich als gähnend langweiliges Machwerk ohne jedwede logische Grundlage.

 

Nicholas J. Conard ist ein angesehener Wissenschaftler und Archäologe, dessen Hauptverdienst ist, alle Funde der Höhlen der schwäbischen Alb katalogisiert und detailreich beschrieben zu haben. Auf sein Konto gehen unendlich viele Fach- und Sachbücher, die uns heutigen Menschen einen Einblick in die Lebensweise unserer AhnInnen vor 35 – 40.000 Jahren geben.

 

Von Jürgen Wertheimer ist nur bekannt, dass er als Literaturwissenschaftler in München lebt.

 

Von Wertheimer stammt wohl die romanhafte Geschichte, von Conard die eigesprengselten wissenschaftlichen Erklärungen zu den Funden, die abschnittweise in die Romanhandlung eingefügt sind.

 

Im Vorwort haben sich die beiden Autoren „Spielregeln“ auferlegt.

 

Zitat: „Um das in dieser Form wohl einmalige Projekt starten zu können, haben wir uns einige Spielregeln gegeben, die unbedingt beachtet werden müssen, um Missverständnisse zu vermeiden:

 

Alles, was defintiv nicht ausgeschlossen werden kann, muss möglich sein.

Es darf nicht verboten sein, die ferne Wirklichkeit mit heutiger Sprache zu benennen.

Es muss verboten sein, die ferne Wirklichkeit mit heutiger Psychologie zu beschreiben.

Wir wollen nicht illustrieren (weder mit Bildern noch mit Wörtern). Die Bilder müssen im Kopf des Lesers (! sic) entstehen, nicht auf der Netzhaut.

Erzählung ist – auch – Wissenschaft. Wissenschaft ist – auch – Erzählung.

Keine Möglichkeit darf ausgeschlossen werden, weil sie ungewöhnlich ist. Aber jede Möglichkeit, die ausgeschlossen werden kann, muss verworfen werden.

 

Zitat Ende.

 

Leider halten sie sich nicht an ihre eigenen Vorgaben und ich bezweifle sogar, dass Herr Conard das Manuskript zum Roman überhaupt gelesen hat, sonst wäre ihm mindestens der (hier falsche) Gebrauch von Pfeil und Bogen aufgefallen, die erst im Jungpaläolithikum, also gut 25.000 Jahre später im Magdalénien, entwickelt wurde. Auch waren die ersten Sapiens nicht hellhäutig und blond mit blauen Augen, sondern bis weit in die Kupfersteinzeit (vor ca. 5000 Jahren) sehr dunkel.

 

Schon auf den ersten Seiten der Erzählhandlung fällt Wertheimer in klassische (Steinzeit) Stereotypien – Frau wird im Freien gefunden und von Männern in eine Höhle geschleift.

 

Auch ist über sehr viele Seiten nicht klar, welcher Gattung (Neandertaler oder Sapiens) die Protagonistin und die „Anderen“ angehören. Das kristallisiert sich erst im Laufe der Handlung heraus.

 

Der ganze Schreibstil ist schwurbelig verquast, langatmig und daher langweilig. Die Menschen hocken in den Höhlen, passiv, ihren Gedankengängen nachhängend, in typischer Männermanier. Wahnvorstellungen fantasierend von einem Ziel, das doch nicht erreicht wird.

 

Die Frauen sind noch passiver als die Männer, mit Ausnahme der Heldin Khar, meist namenlos, werden von den Männern „bestiegen“ und tun sonst nichts.

 

Das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Menschenarten ist konflikthaft, kriegerisch: Wir gegen Die.

 

Alle Artefakte (Knochenflöte, Tierfiguren, Löwenmensch) werden im selben Zeitraum von den Sapiens-Männern hergestellt, nur die „Venus“ wird von der Neandertalerfrau Khar nahezu zwanghaft, von einer inneren Stimme getrieben, geschnitzt.

 

Das Auftauchen dreier negroider Männer die sich zeitweise der zusammen gewürfelten Truppe anschließen, lässt Wertheimer (in für mich rassistischer Manier) „ihre schwarzen Hände auf die feine, weiße Haut“ der Frauen legen, was die Eifersucht des Sapiens-Anführers erregt.

 

Überhaupt, dieser Sapiens-Anführer Ulturek – ein machtbesessener, kleingeistiger Psychopath, dem es nur um Stärke und Führerschaft geht.

 

Der kriegerische Angriff auf eine Nachbarsippe, der Mord an den Männern und das Versenken der Leichen im Blautopf, die Inbesitznahme der restlichen Frauen – das sind Taten, die erst 35.000 Jahre später in Mitteleuropa zum Tragen kamen – mit der Einwanderung und Okkupation der Jamnaja-, bzw. Kurgan-Krieger.

 

Genug!

 

Wären unsere AhnInnen tatsächlich so gewesen, wie in diesem Machwerk beschrieben, sie wären noch nicht mal aus Afrika heraus gekommen und den Sapiens würde es nie gegeben haben.

 

Von Kooperation, freundschaftlichem Austausch, Handel und Female Choice hat Herr Wertheimer noch nie gehört.

 

Völlig in Kitsch verfällt er dann, als die sterbende Khar ihren Sohn (sic!) in die Hände des Flötenspielers legt, weil der wohl der Vater ist (was Wertheimer aber sich doch nicht traut zu benennen).

 

Fazit: raus geschmissene Lebenszeit und schade für die Bäume, die dafür geopfert wurden!

 

Lieber eines der sachlich und fachlich guten Bücher, die von Nicholas J. Conard geschrieben wurden oder an denen er mitgewirkt hat. Ist spannender und macht mehr Kopfkino.

 

Zu meinen Blogbeiträgen über die Höhlen der Schwäbischen Alb:

 

urspring-und-blautopf-als-quellen-im-mutterschoß

 

drei-höhlen-im-achtal

 

drei-höhlen-im-lonetal

 

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