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Das Rätsel der Schamanin

 

Harald Meller, Kai Michel – Das Rätsel der Schamanin, Rowohlt 2022

 

Eine archäologische Reise zu unseren Anfängen“ - so lautet der Titel diese Sachbuchs.

 

Mit großer Spannung und großer Freude hatte ich mir vor Kurzem das Buch gekauft. Hier mein Resümee, denn meine hohen Erwartungen wurden nur zum Teil erfüllt (aber ich bin halt auch sehr, sehr kritisch 😉).

 

Es überschreitet als reines Sachbuch die Grenzen zum forenischen Krimi, denn die Autoren, beide Archäologen, erzählen spannend, wie sich das Rätsel um die Schamanin von Bad Dürrenberg langsam aber sicher auflöst.

 

Sie erläutern, wie unsere moderne Technologie die Geheimnisse der 1934 bei Kanalisationsarbeiten im Kurpark von Bad Dürrenberg gefundenen Knochen ihre Geheimnisse entlockt. Was damals ganz schnell, ganz kurz und oberflächlich ausgegraben wurde, um einer neuen Wasserleitung Platz zu machen, konnte nun von den Autoren von all dem, durch die Nazizeit ideologisch verbrämten Mythos befreit werden, nur um einen neuen Mythos zu erschaffen. Diesen aber sehr gut und ich freue mich auf die Zukunft, wenn das Wissen und diese Erkenntnisse weiter in das Bewusstsein der Allgemeinbevölkerung dringt.

 

Doch ich will nicht zu viel verraten und Spoilern!

 

Meller und Michel haben etwas geschafft, was bisher noch kein Kultursoziologe oder gar -anthropologe geschaffen hat: eine ganz klare und systematische Einordnung, was Schamanismus ist und dieser eigentlich so nicht heißen sollte. Aber in Ermangelung eines anderen passenden Begriffs wird an dem Terminus „Schamanin“ festgehalten. Weil wir alle mittlerweile eine ungefähre Vorstellung davon haben, was ein Schamane ist und wie er oder sie arbeitet.

 

Leider sind sie bei ihren Forschungen, was den Schamanismus betrifft, nur bis zu den sibirischen Schamanen gekommen, wie sie Mircea Eliade schon Mitte des 20. Jahrhunderts beschrieb und worauf sich alle heutigen „modernen Schamanen“ berufen. Sie schließen daraus, dass auch die Protagonistin eine sehr ähnliche Arbeitsweise an den Tag gelegt haben muss.

 

Sie verkennen, dass der sibirische Schamanismus eine relativ junge Erscheinung in der Menschheitsgeschichte ist und erst mit den kaukasischen Hirtennomaden die eurasischen Gebiete eroberte. Dies ist der „Tengri“-Schamanismus, den wir von den Samen in Lappland, über ganz Sibirien bis nach Ostasien finden. Alle Inhalten gleichen sich frappierend, nur lokale oder persönliche Eigenheiten unterscheiden sich. Und er unterscheidet sich gravierend vom Schamanismus in den Amerikas oder in Afrika, da der Tengri-Glaube nie bis an diese Orte gelangte.

Auch muss davon ausgegangen werden, dass der frühe Schamanismus, also zu Zeiten des Aurignacién und Magdalénien bis hinein ins Mesolithikum ein anderer war, als der den die Tengri-Schamanen über den eurasischen Großkontinent brachten.

 

Die beiden Autoren bemühen sich immer wieder, ihre gesellschaftliche, wissenschaftliche, soziologische und archäologische Patrix zu hinterfragen und kommen völlig richtig bereits auf Seite 11 zu dem Schluss, dass zu Lebzeiten der Schamanin von Bad Dürrenberg es noch kein Patriarchat gegeben hat. Das kam erst ein paar tausend Jahre später.

 

Trotzdem tappen sie im Laufe ihres Berichts immer wieder (unabsichtlich?) in ihre eigene Falle, wenn sie auf Seite 235 nach dem „Vater“ des Kindes fragen, das an der Seite der Schamanin mit begraben wurde. Genauso in der fiktiven Geschichte über die Schamanin am Ende des Buches, wo von ihren „Eltern“ gesprochen wird. Beides - Vaterschaft, bzw. das Bewusstsein darüber, sowie der Terminus "Eltern" - kamen erst durch die neuen Besitz- und Machtverhältnisse der Hirtennomaden in die menschliche Soziologie.

 

Des Gleichen tappen sie in eine „bildliche“ Falle, der Darstellung der Geweih tragenden Person aus der Trois-Frère-Höhle auf Seite 246. Im Original ist dieses Wesen kaum zu erkennen, so sehr ist die Malerei verblasst. Aber irgend ein Mensch aus der allerneuesten Neuzeit hat diesem Mischwesen aus Rentier und Mensch einen ziemlich großen Penis zwischen die Beine gemalt. Und alle Welt denkt, das muss so. Bitte dem Link folgen und bei Gabriele Uhlmann mehr über diese Darstellung lesen.

 

Die Autoren vergessen hier, was sie ein paar hundert Seiten weiter vorne so wunderbar analysiert haben – die Darstellung eines sibirischen Schamanen, der in seinem Erscheinungsbild eine reine Erfindung eines Künstlers aus dem 18. Jahrhundert entsprang und den noch heute so viele Menschen als „echte“ Darstellung interpretieren.

 

Genauso vermischen sich ihre Spekulationen, wenn sie auf Seite 280 vom einfachen Hack- und Gartenbau erzählen, dass dort (nachweisbar und absolut korrekt) nahezu immer matrifokale Strukturen zu finden waren. Dann verorten sie auf Seite 323 den Beginn des Patriarchats aber genau hier: bei der Entstehung der Landwirtschaft und Sesshaftigkeit. Wie wir wissen, das Patriarchat entstand mit der Viehzucht. Und dass es bei der Sesshaftigkeit noch lange nicht zu territorialen Konflikten gekommen ist, zeigt uns zum Glück ebenfalls die Archäologie. Bitte bei Marija Gimbutas weiter lesen!

 

Weiter zu bemängeln ist, dass sie die Forschungsergebnisse um Göbekli Tepe beständig in einen falschen Kontext setzen – als Jagdzauberort, Friedhof von Jägern (wo sind dann die Gebeine der Toten?) und immer noch Tiere in ihrer Symbolik entweder Männern zu ordnen (aggressiv, groß, gefährlich) oder Frauen (anmutig, schön, klein).

 

Fazit:

 

Die Begeisterung, die bei mir gleich zu Anfang des Buches übersprang, dass die Autoren hier endlich mal ihre patriarchal-sozialisierte Brille abgelegt hätten, hat mich dann später ernüchtert, als ich über die Ungereimtheiten und Inkonsequenzen der Autoren gestolpert bin. Aber wahrscheinlich sind sie sich selber nicht über ihre eigenen Stolperfallen klar geworden, auch das Editorium des Verlags hat sich hier nur in der patriopathischen Normative hervor getan. Sonst hätten sie diese kleinen Fehler bemerkt.

 

Das Buch ist trotzdem sehr spannend, sehr informativ und trotz der kleinen Mängel ein hervorragendes Beispiel, wie heute moderne Archäologie funktioniert und dass hier mittlerweile viele andere Disziplinen mit eingebunden werden.

 

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